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des Kalten Krieges Die letzte heiße Schlacht

Afghanistan Vor 20 Jahren marschierten sowjetische Truppen in Kabul ein

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Thomas Ruttig, Kabul

Weihnachten 1979: Sowjetische Truppen marschieren in Afghanistan ein. Die USA ergriffen die Chance, ihren Hauptgegner in einem tödlichen Krieg ausbluten zu lassen.

A m Südwestrand Kabuls steht auf ei-

/\ ner leichten Anhöhe der Dar-ul-?L AAman-Palast. Weit ist der dreistöckige, klassizistisch wirkende Bau in Form eines nach Osten offenen Rechtecks zu sehen. Doch sein Name - übersetzt lautet er »Haus des Friedens« - trügt. An einigen Stellen sind seine Wände von schweren Artillerietreffern eingestürzt. Durch die ausgebrannten Stahlgerüste seiner vier Eckkuppeln kann man den Himmel sehen. Hier spielten sich am Jahresende 1979 Ereignisse ab, die zu einem Wendepunkt in der sowjetischen und der Weltgeschichte werden sollten.

»Am Abend des 27 Dezember 1979 wurde ganz Kabul um 19 Uhr 10 von zwei dumpfen Explosionen erschüttert«, erinnert sich Karl-Heinrich Rudersdorf, damals Landesbeauftragter des (West-) Deutschen Entwicklungsdienstes, in sei-

nem schon ein Jahr später erschienenen Buch »Afghanistan - eine Sowjetrepublik?« Es folgten Salven. »Bald dröhnte auch durch die Stadt das Gerassel von Panzerketten.« Schon Tage vorher hatten Rudersdorf und die anderen Einwohner der afghanischen Hauptstadt gehört, wie im kurzen Takt schwere Transportflugzeuge landeten. Um 21 Uhr hörte Rudersdorf, wie »in getragenem Ton« über Radio Kabul verkündet wurde, der einige Monate zuvor ins Exil geflohene Vizepräsident Babrak Karmal sei zurückgekehrt und habe die Macht ergriffen. Ein Revolutionsgericht habe seinen Vorgänger Hafizullah Amin als »Agenten des amerikanischen Imperialismus« zum Tode verurteilt und erschießen lassen.

Was am Abend jenes Tages geschah, war die Operation »Sturm 333«. Während der Hauptteil des Interventionskorps gegen 15 Uhr den nördlichen Grenzfluss Amu-Darja überquerte und nun im Minutentakt sowjetische Maschinen auf Kabuls Flughafen landeten, um Karmals Rückkehr - der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Taschkent befand - erst vorzubereiten, machte sich bereits eine KGB-Sondertruppe unter dem Kommando eines Oberst Kolesnik mit Schützenpanzern in Richtung Dar-ul-Aman auf. Nicht weit davon, in einem kleineren Palast namens

Tadsh-Beg, wohnte Amin. Sie überrumpelten Amins 100 bis 150 Leibwächter, die nach Angaben eines sowjetischen Beteiligten nicht an einen Angriff glauben konnten, und erschossen Amin.

Wer genau den Befehl zum Einmarsch gab, das Politbüro der KPdSU oder nur eine kleine Gruppe darin, ist bis heute nicht geklärt. Noch am 18. Dezember hatte der damalige stellvertretende ZK-Abteilungsleiter für Internationales in einem internen Bericht gewarnt, »dass es einfach nicht funktionieren kann, dass wir nicht einfach unsere militärische Kontrolle über ein Land wie Afghanistan herstellen können«. Warum sich Breshnew über die Ratschläge hinwegsetzte, erklärte Valentin Falin später: »Wir fürchteten, er (Amin) würde dasselbe tun wie (der frühere ägyptische Präsident) Sadat, nämlich die sowjetischen Berater ausweisen und sich den USA annähern.« Damals kursierten Gerüchte, dass Amin die Beziehungen mit den USA verbessern und sogar eine gemeinsame Regierung mit einigen damals schon aktiven Mudshahedin-Gruppen bilden wollte. In Washington, wo kurz danach Ronald Reagan Jimmy Carter als Präsident ablöste, entbrannte ein Kampf zwischen zwei Lagern. Während die »dealer« (Verhandler) ein verbessertes Verhältnis mit der UdSSR und deshalb ei-

ne friedliche Lösung des Afghanistan-Problems anstrebten, wollten die von Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski angeführten »bleeder« (Ausbluter) sie in Afghanistan in einen möglichst langen Konflikt verwickeln, an dessen Ende der Kommunismus, wie Reagan sagte, »auf den Müllhaufen der Geschichte« wandern sollte.

Die »bleeder« setzten sich durch. Mit Milliardenbeträgen wurden die Mudshahedin aus unbedeutenden Islamistengruppen in eine schlagkräftige Truppe verwandelt, die im Westen als »Freiheitskämpfer« galten. Die sowjetischen Truppen konnten mit ihnen militärisch nicht fertig werden. Als der neue KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow stärker auf die Innenpolitik orientierte, beendete er auch gegen starken internen Widerstand das Afghanistan-Abenteuer, das er schon 1983 bei einem Kanada-Besuch als Fehler bezeichnet hatte. Die Genfer Abkommen von 1987 regelten den sowjetischen Abzug, der im Februar 1989 komplett war.

Der Krieg war damit jedoch noch nicht zu Ende. Die Mudshahedin konnten sich nicht auf eine gemeinsame Machtausübung einigen und setzten einen Bürgerkrieg in Gang. Ihre Rücksichtslosigkeit bereitete den Boden für eine neue, noch rückschrittlichere Bewegung, die Taleban, die unter dem Schlachtruf »Für eine wahre islamische Ordnung« anfangs breite Sympathien genossen. Doch auch ihr Regime erwies sich - nicht anders als das der Mudshahedin - als zutiefst menschenverachtend. Wie die Mudshahedin - und die sowjetischen Soldaten - mordeten sie Zivilisten, legten sie Siedlungen und Städte in Trümmer.

Fährt man von Kabul die Straße in Richtung Pakistan, sieht man kaum ein unversehrtes Dorf. Auf den ersten Blick kann man nicht unterscheiden, wer für die jeweiligen Zerstörungen verantwortlich ist. Doch die Afghanen erinnern sich genau, tief sind die Schandtaten in ihr Gedächtnis gebrannt. Der sowjetische Einmarsch löste in Afghanistan eine Rückbesinnung auf den Islam aus, dessen extremste - und bewaffnete - Spielart die Taleban verkörpern. Der Westen ist daran nicht schuldlos. Er rüstete nicht nur die Mudshahedin mit Waffen aus, sondern finanzierte ein Indoktrinationsprogramm mit, dass an den Koranschulen in Pakistan und in den dortigen afghanischen Flüchtlingslagern umgesetzt wurde. Aus diesen Schulen stammen die Taleban mit ihrer intoleranten Lesart cfef Üorähisch'eri Lehren. Wenn Afghanen, oder ehemalige ausländische Afghanistan-Kämpfer, heute von Algerien bis zu den Philippinen extrem antiwestliche Gruppen bilden, reagieren sie auf ihre Instrumentalisierung durch den Westen und ihre »verräterischen« früheren Förderer. John K. Cooley, lange Jahre ABC-Korrespondent in Südasien, geht in einem Buch über die Symbolfigur dieser Kräfte, Usama bin Laden, heute deshalb so weit, das Wort »afghanischer Widerstand« in Bezug auf die Mudshahedin in Anführungsstriche zu setzen.

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